TYPOLOGIE IN DER LEHRE HEUTE
zwischen Tradition, Tabula Rasa und Transformation
„To raise the question of typology in architecture is
to raise the question of the architectural work itself.“
Rafael Moneo „On Typology“ 1978
„Typus“: Ein Begriff so fundamental und selbstverständlich wie dieser könnte nicht Anderes, als zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte der Architektur unterschiedliche – teils auch widersprüchliche – Bedeutungen anzunehmen. Typologie – die Lehre und der Diskurs um den architektonischen Typen – bedeutete mal eine idealistische Rückbesinnung auf Ursprünge und Archetypen, mal die Entwicklungen von Prototypen für eine bessere Zukunft; mal war sie auf Kontinuität gerichtet, mal ein Mittel der beruflichen Autonomie und des Widerstands gegen die Massenkultur; mal beschäftigte sie sich pragmatisch mit Katalogisierung, Normierung und Standardisierung, mal mit der Suche nach tieferen Bedeutungen. Heute sind die Begriffe „Typus“ und „Typologie“ mit den vielen Schichten ihrer Vergangenheit aufgeladen.
Im frühen 20. Jahrhundert prägten neue gesellschaftliche Herausforderungen und neue technische Möglichkeiten den typologischen Diskurs. Mit einer empirischen, an die Naturwissenschaften angelehnte Methodik, versuchten moderne Architekten sich von bekannten Typen zu befreien, um neue standardisierte Typ-Lösungen von Grund auf zu entwickeln. Das erklärte Ziel war nichts weniger als die Lebensbedingungen klassenübergreifend zu verbessern. Mitte des Jahrhunderts rückte eine entscheidend andere Auslegung der Typologie ins Zentrum des architektonischen Diskurses: dieses Mal als Kritik der vorangegangenen Moderne. Unter Architekten wie Aldo Rossi, versprach eine erneuerte, auf die traditionelle Stadt basierte Typologie, einen humanistischen Weg aus einem technokratischen, „naiven“ Funktionalismus zu zeigen. Zugleich wurde die Typologie als Disziplin gesehen, das Metier von Innen zu festigen, Brüche zwischen Tradition und der Moderne zu heilen, Architektur und Stadt wieder als unzertrennbaren Teile eines Ganzen zu verstehen.
Elemente beider typologischen Kulturen gingen in den folgenden Jahrzehnten in das allgemeine beruflichen Gedankengut über. Langsam, aber, trat das Thema in den Hintergrund: die Utopien der Moderne schienen längst diskreditiert zu sein und die gewachsene europäische Stadt – Ausgang für Rossis Theorie – war angesichts von neuen, nichttraditionellen Stadtstrukturen für viele Architekten kein relevantes Modell mehr. Mediale und akademische Interessen widmeten sich anderen Themen: Philosophie, die Welt der Kunst, Datascapes, die parametrische Manipulation von Oberflächen usw. Während Typologie das Typische, das Wiederholbare, das Überpersönliche sucht, fand die medienwirksamste Architektur der Boom-Jahre der Jahrhundertwende zunehmend ihren Erfolg in dem Einmaligen, dem Besonderen, dem Persönlichen.
Hinter der bunten Oberfläche der Produktion der letzten Jahre existiert jedoch eine lebendige Kultur typologischer Praxis. Die Blüten dieser Praxis sind vielfältig: experimentelle Hybridtypen, neue Großwohnformen, neue Typen für Wohnen und Arbeiten, die ersten Typen der Energierevolution, neue Interesse für bisher vernachlässigte Bautypen sowie ein zunehmender Hang zu regelgetriebener Architektur. Im Gegensatz jedoch zu typologischen Ansätzen des 20. Jahrhunderts, ist diese heterogene, ad-hoc Praxis in keiner synthetischen Theorie erfasst, die sie in den Rahmen eines größeren städtebaulichen oder kulturellen Projektes stellen könnte. Es mag sein, dass dieses Wiederaufleben der Typologie ein neues Verlangen nach Tiefe, nach Nachvollziehbarkeit und Logik bedeutet. Oder vielleicht stammt diese Interesse aus der Erkenntnis, dass das Metier sich in seinem eigenen räumlichen Wissen festigen muss, wenn es künftig relevant bleiben will. Ob sie alt oder neu sind, wir beschäftigen uns mit den Blüten der typologischen Kultur. Wir wollen sie in ihrer Vielfalt und Zusammenhang besser verstehen und wollen wissen, welche als Modelle für Reformen und Innovationen in der Stadt und Umwelt dienen können.
Einige der aktuellen typologischen Themen, die uns beschäftigen sind:
- Hybride und Nutzungsoffene Architekturen. Wirtschaftliche Interessen und zunehmende städtische Dichte führten in den letzten Jahren immer wieder zu unkonventionellen Nutzungsüberlagerungen innerhalb eines Gebäudes. Wir interessieren uns für die Strategien der Vermittlung in diesen Hybridtypen; wir wollen wissen, inwiefern solche Gebäude als Katalysatoren für städtisches Leben dienen können, und ob sie ihr Versprechen von Nachhaltigkeit/Robustheit halten. Hybride Typen gab es immer: wir wollen wissen, welche ihrer Errungenschaften der Vergangenheit sich auf die heutige Praxis übertragen lassen.
- Neue Wohnformen und die Stadt. Auf der Suche nach zunehmender Dichte, aber auch nach attraktiveren Lebensstilen, werden im Wohnungsbau die bekannten Schemen – Blockrand, Zeil, Freistehendes Haus usw. – immer öfter durch neue ersetzt: Großwohnformen, Hybride, Mischformen. Wir wollen mehr über das Leben in diesen Häusern wissen und über ihre Wechselwirkung mit der Stadt.
- Typologie Transfer. Ein globalisierter Architekturbetrieb vernetzt Einflüsse aus verschiedenen Kulturen. Westliche Gebäudetypen haben schon lange einen großen Teil der Welt kolonisiert; seit einigen Jahren wirken Einflüsse zunehmend in die andere Richtung. Wir wollen wissen, wie die Ergebnisse dieses Transfers zu bewerten sind.
Architektur handelt zugleich von Heimkehr und von Aufbruch; die Lehre der Typologie setzt sowohl Tradition als auch Wandel voraus. So fundamental und selbstverständlich wie sie ist, wird die Typologie ein integraler Teil des Architektonischen bleiben und wird künftig noch viele weitere Schichten der Bedeutungen annehmen.
In der Gegenwart, geprägt wie sie ist durch die Suche nach Freiheit in der Form von Grenzüberschreitungen und Regelbrüchen, haben die Konventionen der architektonischen Typen eine aktuelle Bedeutung angenommen: sie zeigen einen besonders verheißungsvollen Weg zu Verdichtung, zu formalen Spannung und zu Vielschichtigkeit. Für den Architekten, der es versteht, die Konventionen und Regeln der Typologie zu nutzen (und nicht nur zu „gehorchen“), öffnet sie paradoxerweise grosse Freiheiten.